»Tiefe und Intensität der Empfindung entziehen sich der dinglichen Konkretisierung. Nur das Sich-Öffnen und das Offenlassen einer festen Bestimmung des Gegen­ständlichen ermöglicht die Grenzenlosigkeit der Teilhabe, der Durch­­dringungen, des Freiseins für das Unwirkliche, Überwirkliche, Unendliche.

Marion Ulrich entzieht sich dem Realen und nähert sich ihm an, ohne es begreifen und definieren zu wollen. Sie sucht überdimensionale Weiten, indem sie Vertrautes abstößt und Irreales einverwandelt. Zugleich vereint sie das logisch unvereinbar Erscheinende in einer selbst erschaffenen Harmonie des Sensuellen und Assoziativen.

›Endogene Bilder sind die letzte uns gebliebene Erfahrbarkeit des Glücks‹, schrieb Gottfried Benn 1942 als Schlußsatz seines Essays ›Provoziertes Leben‹. In der Trennung von Ich und Welt sah er die ›schizoide Kata­strophe, die abend­ländische Schicksalsneurose: Wirklichkeit‹.

Ihre Empfänglichkeit für die Saugkraft des Mehrdeutigen, für die Suggestionen des Halbbewußten und Unbe­wußten aktivierte ihr Verlangen nach dem eigen­schöpferisch bildnerischen Korrelat. Der poetische Funke wird ausgelöst durch die Begegnung mit dem Irrationalen, gegenständlich womöglich Veranlaßten, doch in seinen alogischen Zusammen­hängen nicht Faßbaren. Damit wird eine poetische Wirklichkeit als ein höherer Inhalt verstanden – abgehoben von allem Banalen, Trivialen und Brutalen. Dem Kunstwerk wird damit eine moderne, keineswegs Ausschließlichkeit bean­spruchende Auto­nomie zugesprochen.«

Reinhard Müller-Mehlis © 1992

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